Wird das Engadin jetzt zur Kinowüste?

Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, ist es ums St. Moritzer Ciné Scala geschehen. Noch nie sah es so schlecht um den aktuellen Kinostandort aus. Wegen Einsturzgefahr der Liegenschaft wurde Kinobetreiber Gianni Bibbia fristlos gekündigt.
Verdutzte Gesichter an der St. Moritzer Gemeinderatssitzung vom 30. Mai. Die Nachricht von der sofortigen Schliessung des Ciné Scala kam bei etlichen Mitgliedern sichtlich schlecht an. «Das Gebäude, in welchem sich das Kino befindet, muss wegen Einsturzgefahr sofort geschlossen werden. Gibt es handfeste Perspektiven für einen alternativen Standort?», richtete Gemeinderat Leandro Testa seine Frage an den Gemeindevorstand. Dieser konnte nicht mit vielen Vorschlägen punkten. Standort Reithalle? Noch immer in der Planung. Wenn überhaupt, frühestens in fünf Jahren zu realisieren. Weitere Alternativen seien in den letzten Wochen und Monaten geprüft, aber verworfen worden, erklärte Gemeindevorstandsmitglied Anita Urfer. Turnhalle altes Schulhaus, Trinkhalle Heilbad, Untergeschoss Berry Museum… Alles nicht machbar, wegen sicherheits- und feuerpolizeilichen Auflagen, aber auch wegen räumlichen Einschränkungen; ein Kino braucht Platz. Für die Zuschauer, die Projektionsgeräte, das Notstrom-Aggregat, die Ablüftung.
Pontresina für Bibbia keine Lösung
«Ich habe heute mit dem Pontresiner Gemeindepräsidenten Martin Aebli telefoniert, der würde für eine Übergangslösung Hand bieten und die ehemaligen Räumlichkeiten des Cinéma Rex zur Verfügung stellen», informierte Gemeindepräsident Sigi Asprion. Dieser Vorschlag kam bei Gianni Bibbia, dem langjährigen Betreiber des Ciné Scala, nicht gut an. Er sei nicht gewillt, seinen Betrieb nach Pontresina zu transferieren, aus Kosten- wie aus Imagegründen mache das für ihn keinen Sinn. Schon für die letzte Fristerstreckung bis Ende April 2014 am heutigen Standort habe er achttausend Franken ausgeben müssen. Ein Umzug würde weitere Kosten von mehreren zehntausend Franken nach sich ziehen. Zudem sei der Kinostandort St. Moritz rein werbetechnisch attraktiver als Pontresina. «Für mich ist der Standort Pontresina ausgeschlossen.» Bibbia bekam anfangs Mai von der Hauseigentümerin «mobimo» die fristlose Kündigung. Diese wollte die Verantwortung für die Mieter nicht mehr tragen und stützte sich dabei auf ein Gutachten, das der Immobilie eine grosse Einsturzgefahr attestiert. In den Augen von Bibbia sind die Schlussfolgerungen aus diesem technischen Bericht nicht schlüssig. Es gebe sehr wohl Risse im Haus, aber nicht überall gleich viele und gleich tiefe. Bibbia stellt sich auf den Standpunkt, dass ein regulärer Kinobetrieb sehr wohl bis zum Ende des vereinbarten Betriebs per Ende April 2014 aufrechterhalten werden kann. Mit einem Gegengutachten möchte er erwirken, dass die Liegenschaftbesitzerin umschwenkt – mit gutem Gewissen umschwenken kann. Kostenpunkt eines solchen Gutachtens: zwischen 15 000 und 20 000 Franken. Zu viel für Bibbia. Er sieht es als Aufgabe der Gemeinde an, nicht nur bei der Suche nach einem alternativen Kino- Standort behilflich zu sein und die Rahmenbedingungen vorzugeben, sondern auch im öffentlichen Interesse eine nochmalige Sicherheitsüberprüfung der sanierungsbedürftigen Immobilie einzuleiten. Die Voten seitens der Gemeinderäte drückten einhelliges Bedauern über die Situation aus, enthielten aber auch die explizite oder implizite Aufforderung an den Gemeindevorstand, am Thema dranzubleiben.
Lösung in letzter Sekunde?
Noch während der Drucklegung dieser Zeitung liefen weitere Verhandlungen. Sollten sie zu einem Durchbruch führen, sprich einen weiteren Kinobetrieb ermöglichen, wäre Bibbia in der Lage, vielleicht schon ab nächsten Donnerstag wieder Filme im Ciné Scala zu zeigen, wenigstens bis Ende Sommer.
Autorin: Marie-Claire Jur